Süddeutsche Zeitung: Ivan Bessonov begeistert im Prinzregententheater mit Chopin.


 

Der Gott der vollkommenen Klavierkünste im Klavierhimmel heißt bestimmt Frédéric Chopin. Gewissermaßen die reine Lehre reiner Pianistik. Ihm huldigte dann auch Ivan Bessonov, der 20-Jährige aus St. Petersburg, mit einer reinen Chopin-Matinee im Prinzregententheater. Wenn er mit den vier Balladen beginnt, dann verfällt er aber selten in jenen Erzählton für den man vage eine literarische Inspiration durch den polnischen Dichter Adam Mickiewicz in Anspruch nimmt, sondern er frönt flammenden Espressivo und heißer Leidenschaftlichkeit.

 

Trotz sensiblem Pianogespür wie im Kopfthema der As-Dur-Ballade wird alles Elegische in der frühen g-Moll-Ballade eher Vorbereitung des heftigen Presto-con-fuoco-Taumels im Finale und alles duftige Flair in der späten f-Moll-Ballade zum Vorspiel der virtuosen Coda, oft mit viel Pedal und manchmal mit scharfem Diskant im Forte des Steinways. Damit wird aber auch der Unterschied zu Schumanns "literarischem" Erzählton deutlich. Der junge Feuerkopf Bessonov, der 2019 im Prinzregentheater fulminant debütierte, formt das Genre eher zu einer dramatischen Poesie und lässt sich auch nicht auf die aristokratische Eleganz großer Chopin-Spieler à la Artur Rubinstein ein: der mondäne Klaviergott als unterirdischer Vulkan.

 

Höchstens im Largo der h-Moll Klaviersonate, wo ein zauberisches Nocturne-Ambiente in lyrischem H-Dur-Melos aufklingt, entfaltet er diejenigen Potenziale Chopins, die der Salon so liebte. Auch in den vier Mazurken, vielleicht dem polnischen Animus Chopins am engsten verbunden, suchte Bessonov die Passion über die tänzerische Verve der rhythmischen Dynamik.

 

Am Vollendetsten gestaltet er sie schließlich in den beiden Walzern, wo er nobles Brio mit chevalereskem Elan vereint. Den begeisterten Jubel nach dem rauschenden Presto-Finale der h-Moll-Sonate stillten zwei Zugaben gleichen Kalibers.

 

Die reine Lehre

 

28. Februar 2023

 

Von Klaus P. Richter / Süddeutsche Zeitung